Bericht
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104 Kilometer - von Adolzfurt nach Treuchtlingen-Bubenheim

Sonntag 2.September 2001. Der Tag beginnt mit stahlblauem Himmel und der Vorhersage von guter Thermik durch den Stuttgarter Segelflugwetterbericht. So ganz glauben möchte ich das eigentlich nicht, nachdem die letzten Tage ziemlich feucht waren. Da aber die Wetterstation Einkorn in Schwäbisch Hall schon Wind aus 280°-300° mit 15-20 km/h meldet ist der Entschluss schnell gefasst heute ins Fluggelände Adolzfurt bei Heilbronn der Brettachtaler Fliegerkameraden zu fahren. Dieses Westwindgelände mit seinem kleinen Startplatz liegt überhalb der Weinberge in den Löwensteiner Bergen. Mit seinen 140 Höhenmeter bietet der

Startplatz Adolzfurt
Hang tolle Soaringbedingungen und hat schon des öfteren 
seine guten Thermikverhältnisse bewiesen. Unten am Hang angekommen soart bereits Peter Lang ca. 100m über dem Startplatz. Ein paar Minuten später stehe ich selber am Startplatz. Der Wind hat jedoch mittlerweile auf Nord gedreht und der Hang trägt nicht mehr. Peter musste auch schon landen. Trotzdem starte ich in einer scheinbar günstigen Phase und stehe 3 Minuten später wieder am Landeplatz. In den nächsten 1,5 Stunden ändert sich kaum etwas an den Windverhältnissen. Da aber immer mehr Fliegerkameraden eintreffen gestaltet sich die Zeit recht kurzweilig.
Gegen halb zwei kommt der Wind zwar immer noch von der Seite, die hohe Cirrusbewölkung die am Vormittag aufzog bekommt nun langsam Lücken, so dass sich Quellungen bilden können. Dies ist für mich das Signal den Schirm wieder auszupacken und die Ausrüstung flugklar zu machen. Hin und wieder stimmt nun für kurze Momente auch der Wind. Solche eine kurze Phase nutze ich - aufziehen, ausdrehen und vom kleinen Starplatz abstossen, schon geht es über die Rebstöcke nur leider nicht aufwärts. Gedanklich sehe ich schon das gleiche Schicksal wie beim ersten Start wiederkehren. Ein kurzer Blick zum Windsack verrät: der Wind hat wieder gedreht. Als Rettung erscheint mir jetzt eine vorgelagerte Kante und tatsächlich, sie trägt. Ich bin noch ca. 80m über dem Landeplatz und merke sofort, dass dieses Steigen nicht vom Hangaufwind kommt sondern eindeutig thermischen Ursprung hat. In vorsichtigen Kreisen versuche ich das Steigen zu zentrieren. Nach 3-4 Kreisen gesellt sich ein kleiner Falke dazu, der mir beim zentrieren hilft. Langsam aber sicher geht es aufwärts. Die kleine Thermikblase versetzt mich zurück in Richtung Hangkante und steigt dann plötzlich ohne mich davon. Macht nichts, ich hab jetzt 60-70m Startüberhöhung und kann nun erstmal mit soaren im Hangaufwind parken.
Das geht nun die nächsten 20 min. so. Immer wieder kommt eine Blase hoch in die ich sofort einkreise und die mich dann nach ein paar Umdrehungen wieder ausspuckt. Höhenmässig bewege ich mich zwischen 90 und 200m über Startplatz.

Eben ist ein weitere Pilot gestartet. Er kann vor dem Startplatz aufsoarenund beginnt kurz darauf mit Vollkreisen. Sofort halte ich ca. 250m höher auf die Stelle zu, wo ich die aufsteigende Blase erwarte. Diese ist viel stärker als die anderen vorher. Der eben erst gestartet Pilot hat mit seinem roten Vertex den Bart voll zentriert und kommt von unten schnell näher. Ich verlagere nun in seinen Kreis und gemeinsam drehen wir auf.
 
Die Thermikstruktur ist alles andere als spätsommerlich, wie ich
eigentlich erwartete hätte. Kräftiges und teilweise böiges Steigen
erinnert vielmehr an Frühjahrsthermik. Aber was solls - es geht 
nach oben. Gemeinsam gewinnen wir an Höhe, ohne dass eine 
Wolke über uns zu erkennen ist. Bei 800m Startüberhöhung, das 
sind 1200m NN ist erst mal Schluss. Mittlerweile hat uns der Wind 
ein ganzes Stück hinter den Hang versetzt. Der Vertexflieger vor mir
richtet seinen Schirm gegen den Wind und möchte zurück zur Kante. 
Ich zögere einen Augenblick. Circa 2 km weiter steht verlockend eine grosse Wolke, von der ich mir verspreche einen weiteren Aufwind zu 
finden um bis zur Basis steigen zu können. Ein kurzer Blick zurück zum Startplatz, dann richte auch ich meinen roten Proton GT aus dem Thermikkreis auf und steuere die naheliegende Wolke an.

Durch den kräftigen Rückenwind ist diese schnell erreicht, nur das erwartete Steigen ist darunter nicht zu finden. Ein paar Kilometer weiter liegt Öhringen an der Autobahn A6. Die Stadt liegt voll im Sonnenschein und lässt mich eine weiter Aufwindquelle erahnen. Tatsächlich - direkt über der Stadt in 400m über Grund erwische ich den Lift nach oben. Er ist zwar nicht besonders stark, dafür schön rund und gleichmässig.

Die Wetteroptik ist momentan noch nicht besonders vielversprechend. Es hat immer noch grössere Cirrenfelder und die Quellungen hängen teilweise feucht und unförmig am Himmel.

Mittlerweile bin ich auf ca.1600m NN und 200m unter der Basis als das Steigen langsam abnimmt und kurz darauf ganz aufhört. Unter kleinen Wolkenfetzen nehme ich Kurs auf Waldenburg wo nochmals ein paar Höhenmeter zu gewinnen sind. Dann lass ich mich vom Wind weiter treiben. Das GPS meldet eine Groundspeed von 65 km/h und man glaubt im Segelflieger zu sitzen. Bei der Autobahnauffahrt Schwäbisch Hall erreiche ich in 600m GND den nächsten Bart. Zusammen mit einem neugierigen Bussard geht es wieder Richtung Basis. Das Wetter sieht jetzt Richtung Osten richtig gut aus, die Luft ist klarer und die Wolken kompakt und gut entwickelt. Zum erstenmal schöpfe ich Hoffnung heute vielleicht wieder einmal einen grösseren Flug machen zu können.
 

Kochertalbrücke
Auf Kurs liegt Ilshofen, vorher geht es noch an der Kochertalbrücke vorbei. Mit ihren 180m Höhe ist sie auch aus der Vogelperspektive ein imposantes Bauwerk. Immer wieder werden mal ein paar Meter aufgedreht um nicht zu tief zu kommen und den Anschluss zu verlieren. Vor mir taucht nun Crailsheim auf. Am östlichen Stadtrand steht eine grosse kompakte Wolke die gutes Steigen verrät. Wie vermutet erfasst mich der Aufwind über der Stadt und zieht mich mit 
3 m/s integriertem ruppigen Steigen wieder nach oben. Unter der grossen Wolke mache ich so viel Höhe wie möglich, den die nächste Thermiktankstelle erwarte ich erst in einiger Entfernung.
Östlich der A7 Anschlusstelle Dinkelsbühl steht die nächste
Wolke die es zu erreichen gilt. Nach einer Gleitstrecke von
8 km geht es über einem kleinen Wald bei Neustädtlein wieder
aufwärts. Die nächsten Kilometer sollten der Wolkenbildung
nach eigentlich ganz einfach werden. Aber meistens kommt 
alles anders als man denkt.

In Erwartung unter einer kurzen Wolkenaufreihung entlang
gleiten zu können, verlasse ich den Aufwind etwas unterhalb
der Basis und nehme Kurs auf Dinkelsbühl. Aber irgendwie 
erwische ich nicht die richtige Linie. Anstatt mich in steigender
Luft zu befinden geht es abwärts. Zwar nicht extrem stark,


Anflug auf Crailsheim
jedoch gleichmässig und anhaltend. Zu allem Übel befinde ich 
mich auch noch in der Abschattung der vermeintlichen Wolken-
strasse. Trotz des kräftigen Rückenwindes hab ich nur einen 
geringen Geschwindigkeitsvorteil zu der ebenfalls schnell 
ziehenden Wolke die die Abschattung verursacht. Da sinnvolle 
Alternativen zum Ausweichen nach links oder rechts nicht zur 
Verfügung stehen bleibt mir keine andere Wahl als kräftig in den
Beschleuniger zu steigen um den rettenden Rand der Abschatt-
ung noch zu erreichen bevor ich am Boden stehe.

Mit dieser Anspannung gleite ich nun die nächsten 13 km. Es 
geht über Dinkelsbühl hinweg, am Flugplatz Sinnbronn vorbei.


Autobahn bei Neustädtlein

Dinkelsbühl kommt in Sicht
Am Ostende des Flugplatzes kreuze ich in gleicher Höhe den 
Flugweg eines Motorseglers der sich im Landeanflug befindet.
Aber immerhin rückt der Schattenrand immer näher. Als schräg 
voraus ein kleines Wäldchen meine Aufmerksamkeit erregt, das 
gerade noch von der Sonne beschienen wird, schöpfe ich wieder
Hoffnung.

Die Luvseite der Waldkante empfängt mich in 200 m GND mit leichtem Steigen. Den naheliegenden Hesselberg kann ich dabei schon fast von unten betrachten. Der Wind ist auch hier in den unteren Luftschichten sehr kräftig. Mit grossem Windversatz mache ich meine Kreise und gewinne langsam wieder ein paar 

Meter Höhe. In 400m GND verlässt mich die Aufwindblase. Vorsichtig fliege ich ein Stückchen weiter und finde prompt die nächste Blase über Obermichelbach. Über Wittelshofen und Gerolfingen am Hesselberg wiederholt sich dieses Spiel. Dabei komme ich nie höher als 500m GND. Die einzige Chance wieder einen zuverlässigen Aufwind zu finden vermute ich an der nördlichen Waldkante des Öttinger Forstes, über dem auch einige gut gebildete Quellungen stehen. In niedriger Höhe geht es über den Flugplatz Irsingen. Ich kann erkennen wie die Segelflieger vor der Halle zusammenlaufen und zu mir nach oben starren. Als ich mich ihrem Blick hinter der Halle entziehe kommen sie um die Ecke gelaufen um mich weiter beobachten zu können.

Endlich erreiche ich die Waldkante und finde sofort wieder Steigen. Jetzt gilt es erst einmal tief durch zu atmen um dann mit voller Konzentration das Steigen zu zentrieren. Dieses entwickelt sich immer besser je höher ich komme. Schon bald sind die Sorgen der vorangegangenen Tiefflugepisode vergessen. Die Thermik ist nun recht stark und ich habe mächtig zu kämpfen den Schirm im Zentrum zu halten. Bald darauf befinde ich mich wieder an der Basis und mache es mir für den nächsten Gleitflug im Gurtzeug bequem. Hier oben ist es jetzt wieder richtig frisch und ich bin dankbar für mein vollverkleidetes Gurtzeug.

Mit stolzer Höhe überfliege ich die Wörnitz und steuere auf das Nordufer des Hahnenkammsees zu. Über dem kleinen Ort Hechlingen kann ich dann wieder bis zur Basis auf 1900m NN steigen. Jetzt eröffnet sich vor mir eine Wolkenstrasse die Richtung Südosten auf Ingolstadt zuläuft. Die Schornsteine der Ingolstädter Raffinerie sind aus dieser Entfernung schon zu erkennen. 10 km weiter westlich meiner Position kann ich den Flugplatz Treuchtlingen- Bubenheim ausmachen der sich eigentlich nun auch als Zielpunkt anbieten würde. Die Hände
sind in letzter Zeit immer weiter ausgekühlt und die anstehende Rück- holtour kommt mir langsam auch wieder in den Sinn. Ausserdem hab ich dank GPS die Gewissheit mit meiner Höhe auf jedenfall über die lang ersehnte 100 km Marke gleiten zu können. Nach einigen Über- legungen entschliesse ich mich nach Treuchtlingen zu fliegen und
dort am Flugplatz zu landen, wohlwissend, dass wenn ich der Wolken- strasse folgen würde nochmals 20 km Strecke mehr drin wären.

Den Flugplatz Treuchtlingen erreiche ich in 800m GND. Genug Höhe 
um noch ein paar Freudespiralen zu drehen und mich mit bei den 
Fliegern am Boden mit Jubelgeschrei anzukündigen. 


Richtung Treuchtlingen
Vorschriftsmässig fliege ich eine verkürzte Platzrunde und setze dann meine mittlerweile steif und ungelenkig gewordenen Füsse bei kräftigem Gegenwind um 17.30 Uhr auf das Vorfeld auf.
 
Nun heisst es einen Rückholer zu finden, der bereit ist am Sonntag- abend noch nach Treuchtlingen zu fahren. Denn für eine Rückfahrt mit dem Zug habe ich mal wieder nicht das nötige Kleingeld bei mir. Glücklicherweise erklärt sich mein Opa für diesen Spontantrip sofort bereit. Es ist bereits nacht als er um 21.45 Uhr bei mir eintrifft. Wir machen auf der Heimfahrt noch einen Bogen über Adolzfurt um mein Auto abzuholen und sind dann genau um 24.00 Uhr zuhause.

Markus Peter von den Brettachtaler Fliegerfreunden hat mich schon
telefonisch gesucht. Mein Handy-Akku ist während des Fluges ausge-


Flugplatz Treuchtlingen
fallen, daher konnte ich niemand über die glückliche Landung informieren. Als er von meinem Flug erfährt sind seine Sorgen um mich wie weggewischt. Er kann es wie ich auch noch gar nicht fassen:

104 Kilometer von Adolzfurt nach Treuchtlingen.

Was für ein Flug, davon werde ich noch lange zehren.
 

Markus Dörr